DER BEATDOKTOR

 

Die dritte Ausgabe der HipHop-Instrumental-Reihe "Hi-Hat Club" wurde von einem Produzenten aus Heilbronn gebastelt, den man durchaus zu der Riege jener jungen Wilden zählen kann, die konventionelle Wege ablehnen und neue Klanglandschaften schaffen. Traditionelle HipHop-Herangehensweisen, sprich das Sampling, wird bei "The Jazz-Files" hochgehalten und in Madlib'scher Manier dreckig gehalten. Dabei hat der Mann aus dem Schwabenland tief in den Plattenkisten gegraben und den Jazz entdeckt. Der 28jährige Beatschmied und DJ Dexter stellte sich unseren Fragen.  

Du bist vom Alter her ein Kind der 90er. Würdest du deine musikalische Sozialisation in Sachen HipHop auch dort verorten? Was waren deine Rap-Einstiegsdrogen?

Dexter: Eigentlich hab ich Anfang der Neunziger viel Euro Dance und so etwas gehört. Ich war ein Fan von Maxi-CD´s und hab mein ganzes Taschengeld für diesen Quatsch ausgegeben. Hip Hop fand ich damals nicht so spannend. Außer vielleicht die 8-Takt-Rap Parts von Ray von 2 Unlimited (lacht). Ich war 12 oder 13 Jahre alt und hatte halt kein Plan von HipHop. Aber musikbesessen war ich schon damals. Irgendwann kam dann Skee-Lo mit “I Wish” und Dr. Dre mit “Keep Their Heads Ringin´” und dann ging es so langsam mit Hip Hop los. Meine ganzen Freunde haben auch angefangen Hip Hop zu hören und wir waren dann nur noch auf Wu-Tang, Gravediggaz, Onyx, Nine, Poor Righteous Teachers und Sunz Of Man. Der ganze ruffe New York Shit halt. Dazu bin ich schlecht Skateboard gefahren, hab mein erstes Bier getrunken, die erste Frau geküsst, Nintendo gezockt und in den Weinbergen gechillt. Ich erinnere mich gern an diese Zeit zurück, in der Rap irgendwann mein ständiger Begleiter war. Ich glaube, dass ist auch der Grund warum meine Generation auf diesen 90s HipHop einfach immer noch abfährt, wir sind damit aufgewachsen und verbinden viele Erinnerungen mit dieser Musik.

Gebürtig bist du aus der Gegend Heilbronn in Baden-Württemberg. Heißt das dann auch gleich, dass dich der Deutschrap aus Heidelberg (AC) und Stuttgart (FK, Massiven) beeinflusst hat?

Dexter: Das darf man zwar hier nicht sagen, aber Heidelberg hat mich nicht so interessiert. Ich war eher in Stuttgart unterwegs und demnach eher Fan von den Massiven Tönen. Aber eigentlich auch nur vom “Kopfnicker” Album, weil das für mich damals wenigstens annähernd nach Ami-Rap geklungen hat. Wir haben sehr wenig deutschen Rap gehört. Wir hätten uns damals gern einen deutschen Wu-Tang Clan gewünscht, aber der kam leider nie (lacht). Als ich dann aber selber angefangen habe zu rappen, hab ich mir retrospektiv schon die ganzen deutschen Sachen reingezogen, einfach weil ich alles aufsaugen wollte wie ein Schwamm.

Max Herre hat mal seine persönliche Retrospektive in Bezug auf Musik und seine eigene Entwicklung in einem Freundeskreis-Song namens „Erste Schritte“ 1999 thematisiert. Was würde der Song beinhalten wenn du ihn auf dich bezogen geschrieben hättest?

Dexter: Lustigerweise waren meine ersten Schritte auch 1999. Ich habe 1999 angefangen Beats zu produzieren und habe auch damals diesen FK Song öfter angehört. Aber ich selber würde nie so einen Song schreiben. Ich schreibe, wenn ich mal rappe, nichts Persönliches. Aber wenn ich so einen Song machen würde, würde ich wohl all das reinpacken was ich dir schon auf deine erste Frage erzählt habe. Back in the day-stories.

Auf deinem Producer-Album „The Jazz Files“ für die MPM-Reihe „Hi-Hat Club“ offenbarst du den Hörern deine Liebe zum Diggin’. Bist du Plattensammler bzw. würdest du dich als Rare Groove – Nerd bezeichnen?

Dexter: Oh ja! Ich bin verrückt nach Platten. Aber nicht nur Rare Groove. Eigentlich alles mögliche. Von Psychedelic Rock, Library Music, Space Age Pop bis Jazz und Funk kann ich mir alles geben. Ich bin hungrig nach all dem Zeug. Aber auch Sachen wie Aphex Twin und Warp Records höre ich mir gerne an. Die Hauptsache ist, dass es “dusty” ist. Auch neue Sachen und Stuff aus den Achtzigern kann dusty sein. Ich bin halt ein paar Wochen auf einem Film, ein paar Wochen später wieder auf einem anderen. Letzten Sommer hab ich viel über Jazz gelesen und viel Jazz gekauft und gehört. Hauptsächlich Sun Ra, Ahmad Jamal, Wes Montgomery und Yusef Lateef. So sind auch die „Jazz Files“ entstanden, ungefähr innerhalb 3-4 Monaten. Aber im Moment hab ich wieder genug von Jazz und höre lieber The Strawberry Alarm Clock und Phluph. LSD nehme ich aber keins (lacht)

Welche 5 Platten haben dein Leben wirklich verändert?

Dexter: Ich kann dir spontan eine nennen: Die krasseste Platte aller Zeiten ist für mich “Enter The Wu-Tang”. Ich hab mir halt kein anderes Album öfter angehört und ich höre es immer noch regelmäßig. Die vier weitere zu nennen fällt mir aber schwer. Quasimoto´s “The Unseen” war ein Meilenstein. Das erste Doors Album. DJ Krush´s “Code 4109″ . Kann sein dass ich dir morgen -abgesehen von der Wu-Tang Scheibe- wieder ganz andere Sachen nennen würde. Über diese Frage sollte ich mir vielleicht mal ein ganzes Wochenende Gedanken machen. Oder lieber doch nicht.

In deinem Album hört man unweigerlich den Einfluss von Madlib heraus. War das Absicht? Gehört der Stones Throw-Beatmeister zu den Künstlern die dich inspirieren?

Dexter: Zum Glück hast du jetzt nicht J Dilla gesagt. Versteh mich nicht falsch, auch ich feiere natürlich seine Sachen. Aber sobald man seine Drums nicht quantisiert wird man als Dilla-Kopie abgestempelt. Von daher kann ich gut mit dem Madlib Vergleich leben. Sagen wir besser so, Madlib ist mein persönlicher Lieblingsproduzent und Digger überhaupt, weswegen man einen gewissen Einfluss natürlich nicht leugnen kann.

Es gibt eine ganze Reihe von Beatfricklern die gerade für etwas Aufsehen sorgen. Ich denke da an Dorian Concept, Flying Lotus, Flako, Blockhead oder die Kollegen Suff Daddy und Twit One. Dabei bleibt man beileibe nicht immer im klassischen Boom-Bap-Gefilden und flirtet auch gerne mal mit Elektro. Wie siehst du das als Teil dieser Entwicklung? Der kreative Untergrund gibt es also immer noch….

Dexter: Die Typen, die du da aufgezählt hast, haben auf jeden Fall alle einen Dachschaden. Im positiven Sinne natürlich. Ich finde das cool, jeder macht eigentlich sein eigenes Ding und sie unterscheiden sich ziemlich von einander. Flako ist elektronischer, Suff Daddy ist Sample-lastiger, FlyLo ist atmosphärisch und dennoch gibt es da was, was alle zusammenhält. Das finde ich krass. Der Untergrund wird immer kreativ sein, von oben wird nie was kommen und so wird es immer bleiben.

Du hast dich, wie der Name der Platte schon andeutet, auf Jazz als Sample-Fundgrube eingeschossen. Warum gerade Jazz, ein Genre, dass man ja eher Ü40-Leuten zuschreibt!?

Dexter: Es kommt halt auch immer drauf an, was für einen Jazz man hört. Hip Hop ist ja auch nicht gleich Hip Hop. Ich finde so ultra-cleane Jazz Sachen mit quirligem Saxophon zum Kotzen. Aber ich liebe den Jazz, der dreckig ist, Drumbreaks hat oder aus dem Fusion Bereich stammt. Man kommt halt zwangsläufig mal auf Jazz, wenn man sich damit beschäftigt, was diese ganzen Producer eigentlich gesamplet haben. Jazz ist da immer dabei.
Dazu kommt, dass mein Vater eine ordentliche Plattensammlung hat, wo viel Jazz dabei ist, der mich sehr anspricht. Wenn du den guten Jazz kennst, ist das beileibe keine Ü-40 Musik. Das ist funky Shit.

Was hältst du von den klassischen Ansätzen des JazzHop wie er gerade Mitte der 90er sehr groß war. Ich denke da an The Roots, Buckshot LeFonque oder Digable Planets – natürlich auch die Großtaten von ATCQ. Hat dich diese Art von Einbindung von Jazz im HipHop beeinflusst?

Dexter: Unbewusst bestimmt. Ich hab das ja auch alles gehört. Am besten hat mir gefallen wie ATCQ das gemacht hat, das war alles so schön unaufdringlich. Aber die Samples waren damals eher subtiler im Hintergrund, bei meinen “Jazz Files” ist das alles viel lauter und aufdringlicher. Ich sample auch Passagen, die man damals vielleicht nicht gesamplet hätte.

Du produzierst u.a. auch Deutschrap. Was erzählst du Leuten die behaupten dass nach „Bambule“ und „Fenster zum Hof“ nichts mehr wirklich spannend war…?

Dexter: Die sollen das halt mal einem Hiob oder Morlokk Dilemma ins Gesicht sagen (lacht). Im Ernst, Deutschrap ist heute viel besser als damals. Die Beats sind besser, die Skills haben sich weiterentwickelt. Leute wie Audio 88 & Yassin bringen eine ganz neue Facette mit. Außerdem kann ich da mit
meinen Produktionen ein bisschen mitmischen, dann macht das Ganze noch viel mehr Spaß. Natürlich gibt es auch viel mehr richtigen Schrott als früher, aber so ist das nun mal, wenn einer Sache größer wird. Da fällt mir ein: Ich vermisse Doppelkopf.

Das sind meistens auch die Leute die mir sagen, dass sie jetzt nur noch auf Electro-Partys gehen, weil der aktuelle HipHop sie nicht mehr rockt. Das ist dann eigentlich doch nur die Ausrede dafür, dass man sich mit dem zeitgenössischen Sound nicht mehr auseinandersetzt. Was meinst du?

Dexter: Ich kann das schon verstehen. Ich für meinen Teil kann das halt nicht, dazu bin ich viel zu sehr hängen geblieben. Ich habe 2006 auch mal zwei drei “New Rave”-Tracks aus Langeweile produziert und hab die Sachen teilweise auch mal im Club gespielt oder war auf dementsprechenden Partys. Um diese Zeit war das ja auch einfach krass dieser Sound. Aber im Endeffekt wurde ich ziemlich schnell davon gelangweit, weil diese ganzen Produzenten sich mittlerweile gleich anhören und jeder nur den anderen kopiert. Ich frage mich auch, wie sich ein neues Justice-Album anhören wird. Die dürfen auf keinen Fall noch einmal mit dem gleichen Kram kommen, die müssen sich irgendwas einfallen lassen. Klar sagen viele dass sie jetzt nur noch Electro feiern, ist teilweise in meinem Umfeld auch so. Ich geh gern mal auf eine Techno-Party oder so, einfach um zu hören was sich in den anderen zeitgenössischen Musikrichtungen so tut und mich grundsätzlich fast jede Art von Musik interessiert. Hip Hop bleibt aber meine Basis und bis auf weiteres kann ich mir auch nicht vorstellen dass sich meine Musik mal nicht mehr in irgendeiner Form nach Hip Hop klingen wird.

Was wird man in Zukunft von dir hören? Wird es eine „The Funk Files“ vielleicht geben?

Dexter: Als nächstes werde ich wieder ein Rap-Album veröffentlichen. Zusammen mit Achim, meinem Homey aus Regensburg von den Demograffics. Er rappt englisch, ich deutsch. Produziert wurde alles von mir. Deutsch-Englisch Kollabo?! Jetzt schlagen bestimmt viele ihre Hände überm Kopf zusammen. Aber leider ist dieses Album ziemlich dope und wird irgendwann im Juni 2010 wird es erscheinen. Des Weiteren mache ich wieder ein Album mit Jaques Shure aus meinem Wortsport-Umfeld.”The Moog Files” und “The Psyche Files” sind schon seit längerem in Arbeit, aber keine Ahnung, ob die jemals an die Öffentlichkeit gelangen werden. Vielleicht archivier ich sie einfach nur, so wie man das mit Files halt macht. Solange ich Input habe, wird mir der Output bestimmt nicht so bald ausgehen.

Zum Schluss noch ein paar Short-Spots:

Wu-Tang oder Ruff Ryders

Dexter: Ruff Ryders? Sei mal ehrlich, kennst du irgendjemand der die jemals geil fand?

Dre oder Dilla
Dexter: Dilla war einfach doper. Schluss aus.

Bushido oder Frauenarzt
Dexter: Lieber Leute die sich nicht so ernst nehmen.

John Coltrane oder Charly Parker
Dexter: Mir persönlich liegt Coltranes Stil einfach mehr..

Blue Note oder Verve
Ich liebe beide Labels, aber ich favorisiere Verve.

Stuttgart oder Berlin
Dexter: Beides schöne Städte, geht es aber um Musik tendiere ich zu Berlin.

Vinyl oder Serato
Dexter: Wenn ich mich entscheiden müsste, aber solange ich beides haben kann (lacht)

Maultaschen oder Currywurst
Weil ich viel seltener Maultaschen esse als Currywurst.

 

Text & Interview: Peter Parker (2010)