MUNICH FUNKMASTER
Es gibt wenige Plattendreher die so lange im DJ-Business relevant sind. Im Bereich Rare Groove, speziell Funk der deepen Sorte und Soul der rohen Marke ist Florian Keller eine Institution. Weltweit gibt es wenige DJs die eine vergleichbare Reputation besitzen.
Wöchentlich kann man seine Radioshow auf samurai.fm, byte.fm respektiv Mixcloud oder über floriankeller.net über das Internet hören. Seine DJ-Gigs führen ihn um den ganzen Globus. Er spielte schon im Libanon, Russland, England oder Schweden - im Auftrag des Funks.
„Superflo“ ist mit seinen Residentnights & Eventreihen in München aktiv. Dazu gehören „Party Keller“, "Soul Food Allnighter" oder "Funk Squad". Im Interview im Jahr 2010 erzählt er von seiner Sammelleidenschaft, das gespaltene Verhältnis zu digitaler Musik, der Umwälzung des Musikmarktes und der alles entscheidenden Kraft des DJ als Tastemaker.
Im Mai 2010 veröffentlichte er auf Compost Records die dritte Folge seiner legendären Compilation „Party Keller“ erscheinen.
1. Du hast sehr erfolgreich schon Rare Groove-Samplers (Creative Musicians) und deine Partykeller-Compilations veröffentlicht. Stimmt es dass du am Zusammenstellen für eine weitere Folge bist?
Ja, die nächste Compilation heisst „Party-Keller Vol. 3“ und wird im Mai auf Compost Records erscheinen. Ich freue mich sehr drauf, weil sie sehr gut zeigt, welche Musik auf der analogen Partyreihe läuft. Dort haben wir Gäste wie Quantic oder Mad Mats.
2. Wie kann man sich als Laie vorstellen, wie du beim compilieren rangehst? Es geht viel Fachwissen, Akribie und Recherche für die Lizenzierung der Stücke drauf – die teilweise 30 – 40 Jahre alt sind und oft nur auf kleinen Labels erschienen sind.
Als erstes sind da diese Platten, die ich unbedingt der ganzen Welt vorspielen würde. Da fängt man dann an, die Leute zu finden, die die Rechte an der Musik haben, was im Falle von grossen Plattenfirmen einfach ist, bei Independent-Platten zum Detektiv-Job wird: Listen von Namen in US-Telefonbüchern abtelefonieren, alte Adressen von Tonstudios herauszufinden und bei heutigen Bewohnern derAdresse nach Hinwesen suchen, ob jemand sich noch anNamen erinnert und dann wieder Listen abtelefonieren, so kann man sich das vorstellen. Und natürlich total glückliche ältere Herrschaften, die irgendwie nicht recht glauben können, dass irgend so’n Kerl in Germany die Aufnahmen kennt und die heute toll findet
3. Es gibt inzwischen viele DJs die ihren immensen Fundus an Vinyl digitalisiert haben und nur mit Laptop und maximal einer Tasche Platten auf Reisen gehen. Reise & Kosten-Technisch ist das nur logisch – aber kulturell ist es sehr schade. Wie sieht das bei dir aus?
Also erstens ist der ganze digitale Kram nach wie vor völlig unausgegoren: Abstürze, Aussetzter in den MP3-Dateien und Probleme mit den Tonnadeln, (die den Time-Code abtasten) sind nach wie vor leider Standard, dazu ist der Sound (wegen Wandlern und MP3 Qualität) immer noch hörbar schlechter als Vinyl! Aber das problematischste an der Geschichte: Beim Vinyl zwingt die Zuhause überlegt zusammengestellte Plattentasche, den Dj dazu, im Club das umzusetzen, was er im Herzen hat. ALLE Dj’s die ich je digital auflegen hörte, haben durch den unbeschränkten Zugriff ihres Repertoires auf der Festplatte entweder ein einstudiertes Set gebracht oder spielen tendenziell den einen oder anderen Hit mehr, als sie sie mit ‘ner Plattentasche spielen würden, wenn auf der Tanzfläche gerade nicht alle völlig ausrasten, weil sie eben auf der Festplatte dabei sind. Für die Dj-Kultur eine fatale Entwicklung, trotz der primären Aufgabe als Dienstleister hat der Dj meiner Meinung nach den Job, den Leuten ungehörtes und ungewohntes nahezubringen, sonst kann man im Club gleich eine Powerplay-Software laufen lassen!
4. In den letzten Jahren haben die Plattenfirmen und Labels umgedacht. Vermehrt kann man die Vinyl als Sammler kaufen und erhält gleichzeitig einen Code um sich im Netz dann noch das Album als MP3 frei downloaden zu können. Was sagst du zu dieser Strategie? Wie siehst du die Zukunft allgemein?
Das ist die erste vernünftige Idee, die die Plattenindustrie seit Erfindung der Langspielplatte hatte! Die haben nie begriffen, dass ein 30 cm Papp-Cover mit adäquatem Cover & hinten Platz für Liner-Notes mehr Kraft besitzt als jedes CD-Booklet – oder erst recht einige Pixel MP3 Displaytext („Artist“ „Title“ und damit meistens basta) und, nochmal: Digital klingt nicht, CD nicht und ein MP3 in handelsüblicher Download-Auflösung ist gut für’s Handy bei der U-Bahn-Fahrt, aber nicht annähernd für „Musikgenuss“!
5. Kommen wir zu deiner Person. Du legst schon sehr viele Jahre auch international auf. Bist du nie müde geworden? Es gab bestimmt nicht nur schöne Abende mit dankbarem Publikum?
Sicherlich gibt es manchmal schreckliche Abende, zum Glück ist das die grosse Ausnahme. Aber: Das ist mein Beruf! Und wenn ich, während so einem wirklich schrecklichen Abend, an eine Agentur, Versicherung oder ein Callcenter denke, also einen „normalen“ Job und was für weniger schöne Situationen dort passieren können: was soll ich sagen? Weiss ich, was für ein Glück ich habe!
6. Kennst du die Situation? Du legst bei einer Party auf. Auf dem Flyer steht explizit „Funk & Soul“ und während deinem Set steht einer vor dem DJ-Pult und fragt ständig nach 50 Cent oder Justin Timberlake. Hast du eine Anekdote gerade auf Lager?
Gast: „spiel Mal … (?) von Lady Gaga!“
Ich: „ich kenn das nicht und ich glaube, das passt hier auch nicht rein, sorry“
Gast, mit wirklich unglaubwürdigem Gesichtsausdruck: „Was,du kennst …(?) von Lady Gaga nicht ?? Nö, das kann ja gar nicht sein! Was bist’n du für’n Dj! Läuft doch imRadio, das kennst du!!“
Ich: „nein, weil ich Lady Gaga nicht ausstehen kann “ drehe mich weg um die nächste Platte zu holen
Gast: „ Nö, jetzt ehrlich, spiel mal“
Ich: „Schau mal: die Leute hier im Club sind deswegen da, weil ich auflege was ich auflege. Wie komm’ich dazu, ein lied aufzulegen, dass ich scheisse oder unpassend finde. Wieso sollte ich es überhaupt erst kaufen und dann auch noch hierher schleppen? Also, nochmal: Ich habe LadyGagga nicht, glaub mir!“
Gast, zeigt auf sein Telefon: „Macht nix, ich hab’s auf Bluetooth dabei“
Dj Mixer mit Bluetooth! Wäre eigentlich toll, könnte man in der Grossraumdisco statt der vorhin erwähnten Powerplay-Software gleich direkt jedem Gast seine Lady Gaga Lieblingslieder direkt einspeisen lassen. (lacht)
7. Ich habe dich vor über zehn Jahren schon in der Muffathalle mit Charly Dark (Attica Blues) auflegen gehört. Da hat ihr DJ Marky’s „LK“ (Brasil Drum’N'Bass) neben ATCQ „Check the rhyme“ (HipHop) gepumpt. Mir kommt es so vor dass du dich auf deinen Schwerpunkt Rare groove festgelegt hast. Die Zeit der Eklektik ist vorbei, oder?
Ich spiele eigentlich auf jedem Set Funk, seit Jahren Discorap & Boogie, Hip Hop, nach wie vor etwas Drum & Bass, Reggae, manchmal Latin & Northern Soul, noch mehr Eklektik wäre eine Überstrapazierung der Gäste. Nur hab ich zum Beispiel vor zehn Jahren oft spannende, neue Platten im House-Fach oder der damaligen West-London Broken-Beat Ecke für mich entdeckt, die ich spannend fand. House ist mittlerweile 25 Jahre alt, Hip Hop nach 31 Jahren seit langem auf dem kreativen Tiefpunkt, im Dubstep passiert noch am ehesten was, aber bisher hab ich da zuwenig entdeckt, was mir gut genug gefällt, um’s in mein Set einzubauen. Anstatt in (kaum noch existiernden) Plattenläden nach dem neusten Edit zu suchen beschäftige ich mich lieber mit dem 30 Jahre alten Original, das darauf verbraten wurde und den ganzen anderen spannenden Nummern aus der Ära!
8. Die Into Somethin’ -Crew, also Thönessen, Reinboth und Du seid wieder zusammen. Wie kam es zu diesem Schritt? Brauchte München mal wieder einen Gegenpol zu den viele House & Electro-Events?
House und Elektro als Musikrichtung ist überhaupt nicht das Problem! Rote Sonne und Harry Klein fahren z.B. ein super Programm! München (nebst vielen anderen Städten!) hat zur Zeit das Riesenproblem, dass aus dem ehemaligen coolen Underground der 90er cool vermarkteter Mainstream erwuchs – Läden, die mordsmässig was hermachen wollen, sich betont „underground“ geben und dabei musikalisch völlig angepasst und Blutleer wie besagte Lady Gaga sind. Into Somethin’ wurde nie offiziell beerdigt, und wieder zusammen ist Definitionssache: wir machen ca. einmal Jährlich eine Party, die nächste am Freitag, 9.April im Muffatcafe.
9. Du hast ja noch deine Partyreihe „Party-Keller“ in München. Du hast hier regelmäßig Gäste wie Will Holland (Quantic), Questlove oder Mad Mats aus Stockholm. Wie würdest du einem Laien erklären was da so musikalisch passiert?
Funk in jedem Aspekt und möglichst ohne Klischees. Kann also auch mal ein Abend lang Cumbia laufen (Wie bei Will), Bass / Dubstep gemischt mit 60′s Jazz und Disco wie bei Mats oder 3 Stunden lang nur erstaunlich abwechlungsreiche James Brown-Produktionen wie bei Questlove – und das nächste mal, wenn sie kommen, wieder etwas ganz anderes, aber trotzdem Funk!
10. Wie empfindest du als Sammler und DJ das allgemeine Sterben von Plattenläden? Wird man zukünftig sein Vinyl nur noch online bestellen oder werde die letzten Bastionen (z.B. Optimal) weiterhin einen gesunden Gegenpol zur MP3-Stream-Welle darstellen?
Als Sammler ist’s mir egal, alte Platten gehen davon ja nicht kaputt. Als Musikliebhaber finde ich es aber um so tragischer! Der Plattenladen als Informations-Austausch-Plattform für Musik geigt zusammen mit der Musikpresse gerade den letzten Ton und der Stellenwert von Musik wird (auch) dadurch ziemlich ungesund verschoben. Musik ist halt wesentlich mehr als das neuste elektronische Gadget oder wer wo seinen Schal wie umbindet (Facebook) und von welcher Marke der sein muss...
11. Du bist ja auch ein richtiger E-Bay-Jäger des schwarzen Goldes. Ist Ebay die letzte wirkliche Fundstelle für wirklich rares Zeugs?
Ja!!! Es ist definitiv so. Die richtigen Sammler bieten dort ihr Zeug an.
12. Im Atomic Cafe in München legst du mit Jan Weissfeld in unregelmäßigen Abständen auf. Wie wichtig ist dir der Umgang mit den ursprünglichen Repräsentenern des rohen Funks – schließlich gehören die Whitefield-Brothers zu den Gründungsmitgliedern der Poets of Rhythm!
Diese Musik ist, will man’s oder nicht, bis heute die Grundlage aller nicht Disko-ider Clubmusik (also House &Techno). Hip Hop, D&B, Trip Hop, Big Beat, Grime, Dubstep, Broken Beat, aber auch soviel Pop wie Pharell, Beyonce et cetera: Ohne James Brown wäre ohne Frage alles anders gekommen. Also:extrem wichtig.
13. Keb Darge gilt nicht nur aufgrund seiner Compilations als die prägende Figur des „Deep Funk“. Weltweit gibt es nicht wirklich viele Funk-Experten. Wenn würdest du neben Ian Wright noch dazu zählen?
Es gibt mehr als man denkt. Aber viele sind keine Dj’s und somit nur in Sammlerkreisen bekannt wie z.B. Iyves Ramseier aus der Schweiz. Die Aktiven: Unter anderem Dj Shadow, Egon vom Stones Throw Label, Kenny Dope, Jan Weissenfeldt, Dante Carfagna, Dj Muro aus Japan, Gerald „Jazzman“ Short, der das Funk45 Label betreibt oder Fryer aus Edinburg
14. Du bist wöchentlich mit deiner Show zu hören. Wie macht man Internetradio deiner Meinung nach als kreative Alternative zum Mainstreamradio bekannt? Ich denke nämlich dass es daran scheitert, dass zuwenig Leute davon wissen….
Wenn’s gut ist, spricht es sich schon einigermassen herum. Aber auch wenn eine Sendung nur 60 Zuhörer hätte würde ich sie nicht als gescheitert betrachten, denn es kommt auf den Inhalt an, nicht auf den Erfolg. Insgesammt werden wir uns wahrscheinlich noch wundern, wie sehr sich das ganze Mediengeschehen mehr und mehr atomisiert…Die Zukunft gehört deshalb ganz allgemein der redaktionellen Arbeit, je mehr Kanäle, desto wichtiger die qualifizierte Vorauswahl.
Danke für das Gespräch!
Text & Interview: Peter Parker
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